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Besteht nur eine relative Indikation zur Vornahme eines operativen Eingriffs, muss ein Patient dezidiert mündlich über die echte Alternative einer konservativen Behandlung aufgeklärt werden. Insoweit treffen den behandelnden Arzt besondere Aufklärungspflichten.
Das hat der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 15.12.2017 entschieden und damit das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 12.11.2013 (Az. 5 O 28/13) abgeändert.
Der im Jahr 1951 geborene Kläger litt seit Ende der 1980er Jahren an therapieresistenten Rückenschmerzen im Lendenwirbelbereich. Er stellte sich deshalb im Juli 2010 in einem Krankenhaus vor, in dem der Beklagte als Belegarzt tätig war. Nach einigen Tagen stationären Aufenthalts mit einer konservativen Behandlung führte der Beklagte nach einem erstellten CT ein Aufklärungsgespräch mit dem Kläger, in dem er zu einer operativen Versorgung des verengten Wirbelkanals der Lendenwirbelsäule riet. Der Beklagte führte den operativen Eingriff mit einer Disektomie, einer Dekompression, einer Neurolyse sowie einer Spondylodese im August 2010 aus. Nach der Operation stellten sich neurologische Ausfälle in beiden Beinen des Klägers ein. Er war nicht mehr in der Lage, das gestreckte Bein anzuheben. Zudem zeigten sich Lähmungen beim Heben und Senken der Füße, eine Blasenentleerungsstörung, und eine Störung der Sexualfunktion.
Zwei Revisionsoperationen, bei denen jeweils ein epidurales Hämatom entfernt wurde, bewirkten keine nachhaltige Verbesserung des Gesundheitszustandes des Klägers.
Der Kläger leidet dauerhaft an einer chronischen inkompletten Kaudalähmung mit Gefühlsstörungen im Bereich der Beine unf Füße sowie Schmerzen im Operationsbereich. Er kann nur kurze Strecken mit Gehilfen zurücklegen und ist im Übrigen auf einen Rollstuhl angewiesen. Zudem muss er mit einer dauerhaften Störung der Sexualfunktion und einer sich aufgrund der eingeschränkten Mobilität und chronischen Beschwerden entwickelnden depressiven Störung leben. Eine nach der Operation aufgetretene Blasenentleerungsstörung hat sich zwischenzeitlich zurückgebildet.
Der Kläger verlangte von der Beklagten aufgrund von behandlungs- und aufklärungsfehlern materiellen Schadensersatz in Höhe von ca. 34.500 € sowie ein Schmerzensgeld in der Höhe von 200.000 €.
Sein Begehren hatte vor dem OLG Hamm dem Grunde nach und teilweise der Höhe nach Erfolg. Das OLG Hamm sprach ihm den Schadensersatz sowie in Schmerzensgeld in Höhe von 75.000 € zu.
Das OLG Hamm führt zur Begründung aus, dass der Beklagte hafte, da er den Kläger vor dem ersten Eingriff im August 2010 unzureichend aufgeklärt habe. Dies insoweit erteilte Einwiligung des Klägers sei insoweit nicht wirksam. Auch sei nicht von einer hypothetischen Einwilligung des Klägers auszugehen.
Für den vorgenommenen operativen Eingriff habe mangels neurologischer Ausfallerscheinungen beim Kläger nur eine relative Indikation bestanden. Alternativ habe die konservative Behandlung als echte Behandlungsalternative fortgesetzt werden können. Hierüber habe der Beklagte den Kläger aufklären müssen.
Nach der Rechtsprechung sei die Wahl der Behandlungsmethode zwar primär Sache des Arztes.
Gebe es aber – wie im vorliegenden Fall – mehrere Behandlungsmöglichkeiten, unter denen der Patient eine echte Wahlmöglichkeit habe, müsse ihm durch eine entsprechend vollständige Aufklärung die Entscheidung überlassen werden, auf welchem Weg die Behandlung erfolgen solle und auf welches Risiko er sich einlassen wolle.
Je weniger dringlich sich der Eingriff – nach medizinischer Indikation und Heilungsaussicht – in zeitlicher und sachlicher Hinsicht darstelle, desto weitgehender seien Maß und Genauigkeitsgrad der Aufklärungspflicht.
So sei bei einer nur relativ indizierten Operation regelmäßig auch eine Aufklärung über die Möglichkeit einer abwartenden Behandlung oder das Nichtstun geboten.
Im August 2010 sei beim Kläger die konservative Behandlung weiterhin eine echte Behandlungsalternative zum operativen Eingriff gewesen. Zudem sei der operative Eingriff mit allgemeinen und besonderen Risiken versehen gewesen, über die der Kläger ebenfalls habe aufgeklärt werden müssen. Dass der Beklagte den Kläger über diese Punkte hinreichend aufgeklärt habe, habe er im Prozess nicht nachweisen können.
Von einer hypothetischen Einwilligung des Klägers in die Operation könne man ebenfalls nicht ausgehen, weil der Kläger insoweit einen echten Entscheidungskonflikt zwischen den Behandlungsalternativen glaubhaft gemacht habe. Auch insoweit sei dem Beklagten nicht gelungen nachzuweisen, dass sich der Kläger für den operativen Eingriff entschieden hätte.
Infolge des nichtig gerechtfertigten operativen Eingriffs im August 2010 habe der Kläger eine chronische inkomplette Kaudalähmung mit erheblichen Einschränkungen seiner Mobilität, eine dauerhafte Störung seiner Sexualfunktion sowie eine sich hierdurch entwickelnde depressive Störung erlitten, die eine Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 75.000 Euro rechtfertigten. Auch den materiellen Schaden habe der Beklagte zu ersetzen.
Urteil des 26. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 15.12.2017, Az. 26 U 3/14
Dieses Urteil verdeutlich, neben der komplizierten Fragestellung, ob ein Behandlungsfehler oder ein Aufklärungsfehler vorliegt auch die Schwierigkeiten bei der Bemessung des Schmerzensgeldes.
Unser Fachanwalt für Medizinrecht, Rechtsanwalt Joachim Schmidt, steht sowohl Patienten als auch Ärzten, bei Fragen zu Behandlungsfehler und Haftungsfällen, gerne zur Verfügung.
Aachen im Januar 2018
Matthias Draheim
Rechtsanwalt