Anderer Verkehrsteilnehmer» im Sinn der §§ 9 Abs. 5, 10 Satz 1 StVO ist jede Person, die sich selbst verkehrserheblich verhält, das heißt körperlich und unmittelbar auf den Ablauf eines Verkehrsvorgangs einwirkt. Darunter fällt nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes nicht nur der fließende Durchgangsverkehr auf der Straße, sondern jedenfalls auch derjenige, der auf der anderen Straßenseite vom Fahrbahnrand anfährt.
BGH, Urteil vom 15.05.2018 – VI ZR 231/17
Sachverhalt
Die Klägerin hatte ihr Fahrzeug vorwärts auf einem rechtwinklig zur Fahrbahn angeordneten Parkplatz geparkt. Der Beklagte hatte sein Fahrzeug auf dem gegenüberliegenden Fahrbahnrand entgegen der Fahrtrichtung abgestellt. Vor seinem Fahrzeug stand ein anderer Pkw. Die Klägerin parkte rückwärts in einem Linksbogen in der Absicht aus, sodann auf der Gegenfahrbahn in deren Fahrtrichtung weiter zu fahren. Dabei kollidierte sie mit dem Beklagten, der ebenfalls rückwärtsfuhr, um auszuparken. Im Zeitpunkt der Kollision befand sich das Beklagten-Fahrzeug noch in der Rückwärtsbewegung.
Vorgerichtlich wurde der Klägerschaden mit einem Drittel reguliert. Die Klägerin verlangt 100%. Vor dem Amtsgericht erreichte sie eine Haftungsquote von 50%. Sie legte erfolglos Berufung ein. Auch mit der zugelassenen Revision hat die Klägerin keinen Erfolg. In dem hier mitgeteilten Urteil wird das Rechtsmittel zurückgewiesen und es verbleibt bei der Schadenquote 50:50.
Entscheidung
Eine Entscheidung über eine Haftungsverteilung könne, so der BGH in dem hier vorgestellten Urteil, vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden, ob alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt wurden und die Abwägung nur rechtlich zulässige Erwägungen enthält. Danach seien die Erwägungen des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden.
Zu Recht sei es von einem Verstoß der Klägerin gegen § 9 Abs. 5 StVO und § 10 Satz 1 StVO ausgegangen. Zu diskutieren sei nur die Frage, ob der Verkehrsteilnehmer auf der anderen Straßenseite ein «anderer Verkehrsteilnehmer» im Sinn dieser Normen sei. Primär falle unter den Schutzbereich der beiden Normen der, der im fließenden Durchgangsverkehr fahre. Aber die Normen umfassten auch diejenigen, die auf der anderen Straßenseite Fahrmanöver durchführen, um vom Fahrbahnrand anzufahren. Gleichgültig sei dabei, ob sie in der Position, aus der sie ausparken, korrekt oder nicht korrekt gestanden hätten.
Der der Klägerin zu Last gelegte Verstoß gegen die besondere Sorgfaltspflicht des § 9 Abs. 5 StVO und des § 10 Satz 1 StVO entfalle auch nicht deshalb, weil diesen beiden Normen ein atypisch grober Verkehrsverstoß des Beklagten gegenüberstehe ((Rückwärtsfahren des gegen die Fahrtrichtung parkenden Fahrzeugs über zehn Meter). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts habe die Klägerin den Beklagten nämlich beim Einsteigen in sein Fahrzeug wahrgenommen und auch erkannt, dass dieser vor einer Weiterfahrt zunächst werde zurückfahren müssen. Gleichwohl sei sie selbst rückwärts in dessen Fahrbahn eingekreuzt.
Jeder, der sich selbst verkehrserheblich verhält und in den Ablauf eines Verkehrsvorganges eingreift, unterfällt dem Schutz und der Last der Bestimmungen der §§ 9 und 10 StVO. Die Entscheidung ist für die Praxis von erheblicher Bedeutung.
Fazit
Der BGH hat damit die streitige Frage geklärt, wer ein „anderer Verkehrsteilnehmer“ i.S.d. §§ 9, 10 StVO ist.
Insbesondere beim Ausparken auf Parkplätzen kommt es häufig zu Kollisionen, bei denen beide Fahrzeuge in Bewegung sind. Unser Anwaltsteam berät Sie gerne nach einem Verkehrsunfall und erläutern Ihnen auch ein mögliches Mitverschulden und Haftungsquoten, damit Ihnen kein böses Erwachen droht.
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Aachen im Juli 2018
Draheim, Rechtsanwalt