Ein Arbeitnehmer ist nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB nicht – auch nicht vorläufig – an eine Weisung des Arbeitgebers gebunden, die die Grenzen billigen Ermessens nicht wahrt (unbillige Weisung).
BAG, Urteil vom 18.10.2017, Az. 10 AZR 330/16
Sachverhalt:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Versetzung und hiermit in Zusammenhang stehende Ansprüche auf Entfernung zweier Abmahnungen.
Der Kläger war seit dem 01.04.2001 bei der Deutschen Telekom Immobilien und Service GmbH (DeTeImmobilien) beschäftigt.
Der Arbeitsvertrag enthält u.a. folgende Bestimmungen:
§1 Art und Ort der Beschäftigung
- Der Arbeitnehmer wird im Aufgabenbereich Service Center Nord in Münster als Immobilienkaufmann vollzeitbeschäftigt.
- Die DeTeImmobilien ist berechtigt, dem Arbeitnehmer auch eine andere, seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechende Tätigkeit, gegebenenfalls auch unter Veränderung des Arbeitsortes/Einsatzgebietes oder des Aufgabenbereichs zu übertragen. Der Arbeitnehmer ist zuvor zu hören.
- Die Beteiligung des Betriebsrates bleibt hiervon unberührt.
§ 2 Anzuwendende Regelungen (Tarifbindung)
Das Arbeitsverhältnis unterliegt den für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträgen in der jeweils gültigen Fassung.“
§4 des Manteltarifvertrags vom 14.10.1998 geschlossen, bestimmt:
„Versetzung
Soll ein Arbeitnehmer vorübergehend oder auf Dauer versetzt werden, so sind die Betriebsinteressen mit den Arbeitnehmerinteressen abzuwägen. Ergibt sich nach Abwägung der betrieblichen Interessen die Möglichkeit einer Auswahlentscheidung, so sind soziale Gesichtspunkte
angemessen zu berücksichtigen. Der Arbeitnehmer ist vor seiner Versetzung zu hören. Die Beteiligung des Betriebsrates nach dem Betriebsverfassungsgesetz bleibt hiervon unberührt.“
Mit Änderungsvertrag vom 21.12.2009 änderten die Parteien § 1 Abs. 1 des Arbeitsvertrags dahingehend, dass der Kläger ab dem 01.10.2010 in Dortmund im Team C als Assistent K beschäftigt wurde. Mit Änderungsvertrag vom 10.03.2018 wurden § 1 Abs. 1 rückwirkend zum 01.01.2018 erneut geändert und vereinbart: „Der Arbeitnehmer wird in Dortmund als Assistent K im Bereich RE3123 vollzeitbeschäftigt.“ Der letzte Änderungsvertrag vom 25.11.2018 besagt sodann, dass der Kläger in Dortmund als Immobilienkaufmann im Bereich C und P im Team RE3330 vollbeschäftigt wird.
Nach vorausgegangenen Rechtsstreitigkeiten, welche der Kläger allesamt gewann, wurde ihm von der Beklagtem am 06.10.2014 mitgeteilt, dass er ab dem 01.11.2014 zunächst für sechs Monate in ihrem „Archiv-Projekt“ am Standort Berlin eingesetzt werde.
Dem Widersprach der Prozessbevollmächtigte des Klägers.
Mit Schreiben vom 23.02.2015 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er werde befristet für die Zeit vom 16.03.2015 bis zum 30.09.2015 am Standort Berlin eingesetzt.
Die Beklagte sagte dem Kläger eine Kostenerstattung im Rahmen der doppelten Haushaltsführung für maximal 24 Monate zu und forderte ihn auf, Schlüssel und Zutrittskarten für das Gebäude in Dortmund, spätestens bis zum 06.03.2015 zurückzugeben.
Der anwaltlichen Aufforderung, die Weisung zurück zu nehmen, widersprach die Beklagte.
Die Beklagte hörte den Betriebsrat REM zu der Versetzung an. Dieser verweigerte seine Zustimmung unter Hinweis auf Beschäftigungsmöglichkeiten in einem anderen Team in Dortmund.
Der Kläger nahm in der Folge die Arbeit am Standort Berlin nicht auf, woraufhin ihn die Beklagte wegen unerlaubten Fernbleibens von der Arbeit abmahnte.
Die Abmahnung wurde anwaltlich zurückgewiesen.
Einen Monat später erging eine zweite Abmahnung.
Einen Monat darauf sprach die Beklagte die fristlose Kündigung aus.
Das Arbeitsgericht Dortmund hat der darauf gerichteten Kündigungsschutzklage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht Hamm ist der Auffassung der Dortmunder Richter gefolgt.
Die Beklagte meldete den Kläger bei der Sozialversicherung ab und nahm ab April 2015 keine Gehaltszahlungen mehr vor. Der Kläger erhielt ab Ende April 2015 Arbeitslosengeld. Mitte April forderte die Beklagten den Kläger zur Rückzahlung von Vergütung für den Zeitraum Mitte – Ende März 2015 auf.
Entscheidung:
Das BAG wies die Revision der Beklagten als unbegründet ab.
Zur Entscheidung führt das BAG aus, dass die Weisung zwar weder den arbeitsvertraglichen, noch den tariflichen Bestimmungen widersprach, noch gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB verstoßen habe. Auch sei der Betriebsrat ordnungsgemäß beteiligt worden.
Allerdings entsprach die Entscheidung der Beklagten nicht billigem Ermessen iSv. § 106 S. 1 GewO, § 315 BGB. Deshalb war der Kläger – auch nicht vorläufig – verpflichtet, ihr nachzukommen. Er hat aus diesem Grund auch einen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung vom 26.03.2015 und vom 22.04.2015 aus seiner Personalakte.
Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen (§ 106 S. 1 GewO, § 315 BGB) verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Dem Inhaber des Bestimmungsrechts nach § 106 GewO, § 315 Abs. 1 BGB verbleibt auch im Fall der Versetzung für die rechtsgestaltende Leistungsbestimmung ein nach billigem Ermessen auszufüllender Spielraum. Innerhalb dieses Spielraums können dem Bestimmungsberechtigten mehrere Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Dem Gericht obliegt nach § 106 GewO, § 315 Abs. 3 S. 1 BGB die Prüfung, ob der Arbeitgeber als Gläubiger die Grenzen seines Bestimmungsrechts beachtet hat. Bei dieser Prüfung kommt es nicht auf die vom Bestimmungsberechtigten angestellten Erwägungen an, sondern darauf, ob das Ergebnis der getroffenen Entscheidung den gesetzlichen Anforderungen genügt. Die Darlegungs- und Beweislast für die Einhaltung dieser Grenzen hat der Bestimmungsberechtigte. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Ausübungskontrolle ist der Zeitpunkt, zu dem der Arbeitgeber die Ermessensentscheidung zu treffen hatte.
[…]
Dabei geht das BAG von den vom LAG getroffenen Feststellungen aus und bestätigt diese:
Dabei hat es (Anm.: Das LAG Hamm) angenommen, dass das Interesse der Beklagten, durch die Versetzung des Klägers die Probleme in dessen ehemaligem Team zu lösen und den Betriebsfrieden in Dortmund wiederherzustellen, grundsätzlich einen betrieblichen Grund für die Maßnahme darstellen könne. Gleichzeitig hat es gewürdigt, dass die Beklagte aus ihrer Sicht selbst keine hinreichenden Maßnahmen ergriffen hat, um den Konflikt zu entschärfen und zu lösen. Es hat weiter berücksichtigt, dass es trotz der Beschäftigung des Klägers in einem Prozessarbeitsverhältnis keine Konflikte mehr gegeben, die Beklagte solche jedenfalls nicht vorgetragen habe. Im Übrigen hat es vertretbar angenommen, dass die lediglich auf sechs Monate angelegte Versetzung zur Konfliktbereinigung nicht geeignet gewesen sei. Daraus hat es den nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßenden Schluss gezogen, dass im Hinblick auf das anerkennenswerte Interesse des Klägers an der Beibehaltung seins Arbeitsplatzes in Dortmund und die – trotz der Kostenerstattung – erheblichen Auswirkungen einer Versetzung nach Berlin keine überwiegenden Interessen der Beklagten für die Versetzung vorgelegen hätten. Insoweit hat es auch den erstinstanzlichen Vortrag der Beklagten, diese strebe zur Kostenreduzierung die Beschäftigung von Stammarbeitnehmern in dem Projekt Berlin an, in den Blick genommen. Diesen hat es jedoch mit nachvollziehbaren Erwägungen als nicht ausreichend substantiiert angesehen, da es an Darlegungen zur tatsächlichen Beendigung der Beschäftigung von Leiharbeitnehmern gefehlt habe.
Aus diesem Grund musste der Kläger der unbilligen Weisung vom 23.02.2015 nicht Folge leisten. An das Nichtbefolgen der Weisung konnte die Beklagte nicht Sanktionen knüpfen.
[…]
Das Weisungsrecht soll dem Arbeitgeber ermöglichen, den Arbeitsvertrag und die dort regelmäßig nur rahmenmäßig ausgestaltete Arbeitspflicht in der von ihm gewollten Form zu konkretisieren. § 106 GewO normiert dabei ausdrücklich Grenzen, die zum einen in den rechtlichen Rahmenbedingungen (Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung, Tarifvertrag, Gesetz) und zum anderen im billigen Ermessen liegen. Dabei soll die Ausübung des Weisungsrechts […] nicht in einem Über- oder Unterordnungsverhältnis erfolgen, sondern in einem „eher partnerschaftliche[n] Miteinander im Arbeitsverhältnis. Mit einer solchen Zielrichtung ist ein Verständnis, wonach der Arbeitnehmer sanktionsbewehrt an unbillige Weisungen gebunden sein soll, nicht vereinbar.
Fazit:
Das Urteil verdeutlicht, welch hohen Anforderungen an die Weisung des Arbeitgebers zu stellen sind und dass eine Weisung vom Arbeitnehmer nicht einfach hingenommen werden muss.
Gerade bei den kurzen Fristen im Arbeitsrecht sollten sich Betroffene nicht scheuen einen Fachanwalt zur Beratung aufzusuchen. Immerhin geht es in vielen Fällen um die finanzielle und damit private Existenz.
Unsere Fachanwälte für Arbeitsrecht, Rechtsanwalt Axel Kanert und Rechtsanwalt Thomas Betzer stehen schon seit vielen Jahren Arbeitgebern sowie Arbeitnehmern – auch gegen Großkonzerne – mit ihrem Fachwissen zur Seite.
Aachen im März 2018
Draheim, Rechtsanwalt